Der IK72 ist der erste in der DDR entwickelte, monolithisch intigrierte Analogschaltkreis. Die
Entwicklung erfolgte im F/E-Bereich des Halbleiterwerk Frankfurt Oder (HFO) in
Stahnsdorf und lieferte 1972
erste Bauteile.
Der IK72 stellt einen Differenzverstärker inklusive
Stromsenke dar, der für diverse Schaltungen genutzt werden kann. Ein
integrierter Differenzverstärker hat gegenüber eines diskret aufgebauten
Differenzverstärker den großen Vorteil, dass die Transistoren sehr ähnliche
Eigenschaften aufweisen und auch auf relativ gleichen Temperaturniveaus
arbeiten.
Über den IK72 ist nur sehr wenig bekannt. Die bisher online verfügbaren
Informationen beschränkten sich auf ein Schaltungsbeispiel aus einer
RFE-Zeitschrift (1974/18) und einer qualitativ nicht allzu hochwertigen Aufnahme
des Dies inklusive dem Versuch einer Schaltungsrekonstruktion.
Das RFE-Schaltungsbeispiel zeigt den IK72 als Differenzverstärker aus
zwei Transistoren mit einem dritten, gemeinsamen Transistor an den Emittern. Der
Artikel weist aber bei diesem Schaltbild auch darauf hin, dass "nur der
beschaltete Teil dargestellt" wurde.
Die ältere optische Analyse des mutmaßlichen
IK72 führte ebenfalls zu einem Differenzverstärker mit Stromsenke. Um die
Stromsenke wären demnach zusätzlich drei Widerstände angeordnet. Es zeigte sich
allerdings, dass das analysierte Bauteil gar kein IK72 war.
Das hier zu sehende Modell ist mit einer Papier-Banderole gekennzeichnet und stammt von einem Entwickler, der 1975 damit eine PLL-Schaltung entwickeln sollte. Es handelt sich folglich mit ziemlicher Sicherheit wirklich um einen IK72.
Die vollständige Bezeichnung lautet IK72-13 0109.
Das Package besitzt 12 Pins. Bei diesem Bauteil wurden einige sehr kurz abgeschnitten.
Im Inneren zeigt sich, dass 10 der 12 Pins mit dem Die verbunden wurden. Ein Pin definiert zusätzlich das Gehäusepotential.
Die Abmessungen des Dies betragen ungefähr
700µm x 600µm.
Auf dem Die befinden sich zwei Partikel, die sich weder mit
Druckluft, noch durch Spülen mit Isopropanol entfernen lassen. Eine mechanische
Reinigung könnte die Bondpads beschädigen und sollte daher vorerst vermieden werden.
Das Die beherbergt fünf Elemente, deren Funktion teilweise relativ offensichtlich ist. Rechts befinden sich zwei symmetrische Transistoren, die mit verbundenen Emittern einen Differenzverstärker darstellen. Darunter befindet sich ein weiterer Transistor, der zum Beispiel als Stromsenke verwendet werden kann.
In den Ecken des Dies sind geometrische Formen platziert, die wahrscheinlich die Positionierung der Masken erleichtern und eine Überprüfung des Fertigungsprozess ermöglichen.
Rechts sind die zwei symmetrischen Transistoren des eigentlichen Differenzverstärkers integriert. Die minimale Strukturbreite liegt im Bereich von 5µm. Die Flussspannungen der pn-Übergänge bewegen sich zwischen 0,76V und 0,78V.
Das Buch Mikroelektronik von W. Glaser und G. Kohl (1970, Naumburg) zeigt wie NPN-Transistoren zu dieser Zeit üblicherweise aufgebaut wurden. Die Konstruktion heutiger Bipolartransistoren unterscheidet sich nicht grundsätzlich.
Die Grundlage bildet ein p-dotiertes Substrat (blau). Dort wo später der Transistor entstehen soll, wird eine stark n-dotierte Schicht erzeugt (rot/weiß unten). Diese Schicht sorgt später dafür, dass das Kollektorpotential möglichst niederohmig vom Kollektoranschluss zum aktiven Bereich übertragen wird. Auf dem Substrat trägt man danach eine gleichmäßige n-dotierte Schicht auf (rot), die den eigentlichen Kollektor darstellt. Um verschiedene Transistoren und andere Elemente voneinander zu isolieren, werden tiefe, p-dotierte Rahmenstrukturen aufgebaut. Die entstehnden pn-Übergänge unterbinden ungewollte Stromflüsse über das Die. Im abgegrenzten, n-dotierten Kollektorbereich kann als nächstes eine p-dotierte Basiswanne eingebracht werden. Zuletzt erfolgt die Platzierung des n-dotierten Emitterbereichs innerhalb dieser Basiswanne.
Zwischen den beschriebenen Schritten erfolgen sehr viele Zwischenschritte, die es erst ermöglichen die einzelnen Bereiche so auszubilden, wie sie hier dargestellt sind. Dazu gehören zum Beispiel das Auftragen, das Belichten, das teilweise und das komplette Abtragen von photosensitiven Schichten, das Generieren und Abtragen von Siliziumoxidschichten und diverse andere Prozessschritte.
Basierend auf dem üblichen Herstellungsprozess kann man versuchen die sichtbaren Strukturen der IK72-Transistoren ihren Funktionen zuzuordnen.
Um alle aktiven Elemente ist ein zusammenhängender Rahmen zu erkennen, der höchstwahrscheinlich die p-dotierten Isolationsbereiche darstellt und sich bis zum p-dotierten Substrat erstreckt. Im Inneren befindet sich die n-dotierte Kollektorfläche. Die Kante im Bereich zwischen dieser, sicher n-dotierten, Kollektorfläche und dem äußeren Isolationsrahmen lässt sich nicht eindeutig zuordnen. Sie ist aber vermutlich auf den Fertigungsprozess zurückführen und stellt keine Änderung der Dotierung dar. Das würde bedeuten, das sich im äußeren Bereich, der im Bild nicht markiert ist, ebenfalls eine n-Dotierung befindet. Unterhalb des Kollektoranschlusses ist ansatzweise noch die stärkere n-Dotierung zu erkennen. Die stärkere n-Dotierung unterhalb des Transistors ist nicht sichtbar. Links des Kollektoranschluss befindet sich die p-dotierte Basisfläche. Diese Fläche wird zweimal kontaktiert. Das reduziert den Widerstand der Basiskontaktierung und erhöht so die maximal mögliche Schaltgeschwindigkeit. Die gleiche Anbindung wurde auch beim HF-Transistorarray SL2364 im Gould 4074 gewählt. Innerhalb der Basisfläche ist dann noch der n-dotierte Emitterbereich integriert.
Der dritte Transistor, mit dessen Hilfe sich zum Beispiel eine Stromsenke realisieren lässt, ist etwas anders aufgebaut als die Transistoren
des Differenzverstärkers. Die grundsätzliche Abfolge der unterschiedlich
dotierten Schichten ist die gleiche, allerdings existiert nur ein
Basis-Anschluss (oben) und der Aufbau ist quadratischer, wodurch er weniger
Fläche einnimmt. Höchstwahrscheinlich besitzt diese Bauform eine niedrigere
Grenzfrequenz.
In seiner einfachsten Funktion steuert der Transistor
nur einen konstanten Strom, wo etwas schlechtere Eigenschaften kaum relevant
sind. Setzt
man allerdings zwei der Differenzverstärker in einem Analogmultiplizierer ein, so
können die Anforderungen an den unteren Transistor ebenso hoch sein wie an die
oberen Transistoren.
In der oberen linken Ecke des Dies wurde über einen passend dotierten Streifen ein Widerstand integriert.
Das bereits erwähnte Buch Mikroelektronik stellt auch typische Spezifikationen
von integrierten Widerständen dar.
Widerstände lassen sich mit Hilfe des p-dotierten
Basismaterials oder mit Hilfe des n-dotierten Emittermaterials realisieren. Die
beiden Materialien decken verschiedene Anforderungsbereiche ab. Im
BA222 sind die verschiedenen Widerstandarten real zu
sehen.
Die linke Zuführung der Metalllage kontaktiert neben dem Streifen des
Basismaterials (blau) auch einen vermutlich stark n-dotierten Bereich
(dunkelrot). Über diesen Pfad wird die n-dotierte Wanne (rot), in der sich der
Widerstand befindet, auf ein
definiertes Potential gelegt.
Auch hier sind zusätzliche Treppen in der
Struktur erkennbar, die höchstwahrscheinlich keine spezielle Funktion darstellen und daher
den Verdacht bestärken, dass sie fertigungsbedingt sind.
Die Verschaltung auf dem Die ermöglicht es den Widerstand von außen zu vermessen, wobei sich ein Wert von 2,08kΩ bestimmen lässt. In der Fläche des Widerstands finden 18 Quadrate Platz. Mit den 2,08kΩ ergibt sich somit ein spezifischer Widerstand von 116Ω/sq, was ganz gut zu den obigen Kennwerten für eine Basisdiffusion passt.
Über die Abmessungen des Widerstands kann man sogar die Belastbarkeit abschätzen. Mit einer Länge von 140µm und einer Breite von 9µm ergibt sich eine Fläche von 0,00012mm². Nach der obigen Tabelle kann man mit einer Belastbarkeit von 0,25mW bis 5,7mW rechnen. Was nach sehr wenig klingt kann an der Basis eines Transistors durchaus ausreichend sein.
An der Basis des unteren Transistors befindet sich zusätzlich ein als Diode
verschalteter Transistor. Dass sich die Struktur wie eine Diode verhält, lässt
sich relativ gut bestimmen, da sie beidseitig an Gehäusepins angebunden ist.
Genauer betrachtet ist eine dritte npn-Transistorvariante zu erkennen. Links
kontaktiert die Metalllage eine dunkle Fläche, die höchstwahrscheinlich einen
hochdotierten n-Bereich darstellt. Der darüber angebundene Kollektor nimmt die
ganze Fläche ein. Der rechte dunkle Block besteht genauer betrachtet aus einem
größeren Rechteck, in dem sich ein kleineres Rechteck befindet. Das größere
Rechteck stellt die Basis dar, das kleinere Rechteck ist der Emitter des
Transistors. Die Verbindung von Basis und Emitter durch die Metalllage führt
dazu, dass sich die Struktur wie eine Diode verhält.
Das Substrat kontaktiert ein eigener Pin. Die exklusive Anbindung ermöglicht es das Substrat an eine niedrigeres Potential anzubinden, als im IC selbst verfügbar ist. Das führt dazu, dass sich die pn-Grenzflächen, die die Transistoren voneinander isolieren, verbreitern, in Folge weniger Leckströme fließen und sich parasitäre Kapazitäten reduzieren.
Zusammengefasst ergibt sich die dargestellte Schaltung. Der IK72 stellt einen Differenzverstärker mit einem Transistor im Emitterpfad dar. Der Transistor Q3 kann als Stromsenke verwendet werden oder man kann ihn mit einem Signal beaufschlagen und mit einem zweiten IK72 einen Analogmutliplizierer aufbauen.
Die Basis des Transistors Q3 ist mehrfach angebunden. Der Pin 4 ermöglicht
einen direkten, niederohmigen Durchgriff auf die Basis. Alternativ kann der
Widerstand R1 als Basiswiderstand genutzen werden. Die Diode D1 könnte es, parallel geschaltet zum Basiswiderstand,
ermöglichen das Abschalten des Transistors zu
beschleunigen. Mit dieser Parallelschaltung kann mehr Strom von der Basis
abfließen, die freien Ladungsträger werden schneller abgeleitet und der
Transistor schaltet schneller ab.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der
Widerstand und die Diode in der Verschaltung als Stromsenke genutzt wurden, um
den Stromwert unabhängiger von der Temperatur zu machen. Der Temperaturdrift der
Diode reduziert dann bei erhöhter Temperatur die Referenzspannung an der Basis
und kompensiert damit das Absinken der Basis-Emitter-Spannung des Transistors
Q3.